Kein Fall fürs Museum: Mit Content Curation kommt das Kuratieren in die Personalentwicklung

Vor Kurzem schrieb Stefan Reicher an dieser Stelle, dass es nicht immer Web-Based-Training (WBT) sein müsse. Doch wer stellt aus den unterschiedlichen Spielformen von digitalem Content den richtigen Mix zusammen? Wer bewahrt den Überblick über ständige Neuerungen und identifiziert verlässliche Quellen? Ein Kurator! Diese Rolle sehen einige inzwischen als notwendig im Personalentwicklungsteam.

Kuratieren – Vom Museum in die Personalentwicklung

Klassischerweise würden wir einen Kurator in einem Museum erwarten. Abgeleitet aus dem Lateinischen ist der Kurator derjenige, der für eine Sammlung „Sorge trägt“: Jemand, der die Sammlung bewahrt, neue Werke dafür auswählt, über die Werke der Sammlung forscht und sie in Ausstellungen der Öffentlichkeit zugänglich macht. „Der Aufbau einer Sammlung ... ist eine Methode, Wissen zu produzieren“ so der Kurator Hans Ulrich Obrist in seinem Buch Kuratieren!. Es geht dabei nicht nur darum, eine Sammlung zu erweitern, sondern die Werke in einen Kontext zu setzen, Verbindungen zwischen ihnen herzustellen und durch diese neuen Beziehungen neuen Sinn zu schaffen.

Wie kommt das Kuratieren nun in die Personalentwicklung?

Warum kuratieren?

Die Art, wie Menschen in Unternehmen lernen, ändert sich. Die Halbwertzeit von Informationen wird, ebenso wie Produktlebenszyklen, immer kürzer. Unternehmen können z.T. gar nicht mehr so schnell selbst Content über diese Neuerungen produzieren, wie ihn die Mitarbeiter brauchen. Gleichzeitig sehen wir uns einer Informationsflut gegenüber. “Curation in a digital world isn’t a luxury; it’s a necessity,” findet David Kelley unter diesen Umständen.

Viele Mitarbeiter googeln selbst. In Jane Hart‘s diesjähriger Befragung zu den beliebtesten Lernmethoden in der Arbeitswelt landete das Googeln auf Platz 3. Wenn Mitarbeiter ihre Informationssuche selbst in die Hand nehmen, besteht die Gefahr, dass sie falsche oder veraltete Informationen finden oder sich Praktiken angewöhnen, die im Unternehmen nicht unbedingt gewünscht sind, z.B. weil sie nicht den Sicherheitsvorschriften entsprechen. Um Mitarbeitern die Suche nach aktuellen und relevanten Informationen abzunehmen und diese Informationen nach Qualität vorzuselektieren, kann man Inhalte kuratieren.

Ein weiterer Vorteil von kuratiertem Content ist, dass er Mitarbeiter motivieren kann, weil sie sich damit immer noch relativ autonom informieren und weiterbilden können. Zudem bettet das Kuratieren das Lernen in die Arbeit der Mitarbeiter ein, unterstützt also das informelle Lernen – die Lernform, die laut des 70:20:10-Modells die am meisten verbreitete ist.

Wann ist Content Curation geeignet?

Content Curation hat z.B. Sinn für Mitarbeiter, die über Trends, neue Produkte, Technologien oder Aktivitäten von Wettbewerbern ständig informiert bleiben müssen. Außerdem kann kuratierter Content formale Lernmaßnahmen ergänzen und dort Erlerntes im Gespräch halten. Social Learning lässt sich mit kuratierten Inhalten anregen, indem man Artikel postet, mit Erklärungen ergänzt (Z.B. „Der Artikel ist für uns interessant, weil…“) oder Fragen stellt („Was meint Ihr dazu?“ „Wie sollten wir darauf reagieren?“). Auch für Kunden kann eine Zusammenstellung von Ressourcen über neueste Trends oder Untersuchungen interessant sein.

Wie funktioniert’s?

Kuratiert wird für Pull-Content, d.h. für Inhalte, auf die Mitarbeiter nach eigenem Ermessen und je nach Bedarf zugreifen. Dafür muss man sein Publikum gut kennen und wissen, wann es nach Content sucht und was bei ihm Relevanz genießt. Wenn diese Treiber identifiziert sind, beginnt die Recherche und das Filtern. Dabei kann man auch aus dem von Mitarbeitern geteilten und eventuell sogar selbst produzierten Content auswählen, weil dies Material ist, das Mitarbeiter schon als relevant identifiziert haben. Dieser User-Generated Content kann auch neue Bedarfe für Performance Support aufdecken. Wie oben beim Kuratieren im Museum schon angedeutet, ist es sehr wichtig, die ausgewählten Informationen nicht einfach roh zu präsentieren, sondern für die Mitarbeiter sinnvoll zu verknüpfen, sie in Kontext zu setzen und so zu präsentieren, dass sie für die Mitarbeiter in ihrer Situation verständlich sind.

 

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Schließlich müssen die Informationen noch unter die Leute gebracht werden. Dafür bieten sich die unterschiedlichsten Kanäle an: ein Newsletter als eine Art „Weekly Digest“, das Intranet oder das CRM, wenn Sie für das Sales-Team kuratieren. Sie können Ihr LMS verwenden und Ihre Mitarbeiter durch wöchentliche Benachrichtigungen auf neuen Content hinweisen. Außerdem gibt es speziell auf Content Curation ausgerichtete Plattformen wie Anders Pink, das Sie mit Hilfe eines Plug-ins gut in Totara LMS integrieren können.

 

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(Falls Sie sich mit dem Prozess des Kuratierens ausführlicher beschäftigen wollen, schauen Sie sich diesen Content Curation Guide von Anders Pink an.)

Verwenden Sie am besten die Plattform oder das Medium, das Ihre Zielgruppe bereits gern verwendet. Essentiell ist eine gut funktionierende Suche, damit Ihre Mitarbeiter den gewünschten Content im Bedarfsfall rasch finden. Auf diese Weise wird das LMS oder Intranet zu einer Serviceplattform für Mitarbeiter.

Herausforderungen

Einerseits soll das Kuratieren selbstgesteuertes Lernen unterstützen und Mitarbeitern mehr Autonomie verschaffen. Andererseits verhindert es aber, dass Menschen ihre Fertigkeit zur Recherche und kritischen Beurteilung von Informationen ausbilden – Fertigkeiten, die für selbstgesteuertes Lernen sehr wichtig sind.

Abhängig vom Thema besteht zudem die Gefahr, dass man durch kuratierten Content einseitig informiert wird. Im Extremfall findet man nur noch Informationen, die die eigene Sicht bestätigen. Wenn sich Unternehmen weiterentwickeln wollen, müssen Mitarbeiter auch inspiriert werden. Dafür braucht es die Begegnung mit dem Unerwarteten, dem Überraschenden, dem Verstörenden, dem Anderen. Auch da kann das Kuratieren wieder die Antwort sein, wie Obrist schreibt: “die Aufgabe des Kuratierens ist es, Verbindungen zu schaffen, dafür zu sorgen, dass verschiedene Elemente miteinander in Berührung kommen“. Diese verschiedenen Elemente müssen nicht zwangsläufig Kunstwerke oder Informationen, es könnten auch Menschen sein, meint Obrist: “So wie ich diese Tätigkeit verstehe, muss der Kurator Zwischenräume überbrücken, er muss Brücken … bauen. Der Kern dieser Arbeit besteht darin, temporäre Gemeinschaften zu schaffen, indem man unterschiedliche Menschen und Praktiken zusammenbringt und die Bedingungen schafft, damit es zwischen ihnen ‚funkt‘“.

 

Vielen Dank Armin, Bálint, Mathias, Sedef und Valerie! Die Gespräche mit Euch haben, auf die ein oder andere Art, diesen Artikel inspiriert. „Only connect!“ (E.M. Forster).