Ende Januar ist die Zeit, wenn die E-Learning-Branche ihre Sachen packt, um ihre Arbeit auf zwei der wichtigsten Veranstaltungen in Europa zu präsentieren und dort Kollegen, aktuelle und potentielle Kunden zu treffen: Die LEARNTEC (Karlsruhe) und Learning Technologies (London) standen wieder auf dem Programm. Dieses Jahr fanden beide zum selben Termin statt. Wir haben daher zwei Teams losgeschickt und unsere Eindrücke nach unserer Rückkehr verglichen. Wohin bewegt sich die Welt des digitalen Lernens?
VR & AR nach dem großen Hype
Während wir in vorigen Jahren großes Interesse an VR und AR erlebten, schien uns, dass dieses Jahr keine der beiden Technologien so prominent auf den Messen platziert war. In einem Podcast von GoodPractice mit einer Rückschau auf die Learning Technologies hörte ich jedoch, dass ihre Mitarbeiter einige ganz gute Anwendungen von AR und VR gesehen hatten. Sie schlossen daraus, dass die Personalentwicklung inzwischen ein wesentlich besseres Verständnis davon hat, wie AR und VR das Lernen verbessern können.
Gekommen, um zu bleiben: LMS, xAPI und Badges
Ein Veteran des E-Learnings ist immer noch dabei: das LMS. Trotz zahlreicher Abgesänge auf das LMS fanden wir es immer noch sehr lebendig vor. Neue Arten entstehen (Bersin kategorisiert sie als “Learning Experience Platforms”, “Micro Learning Platforms” etc.) und Material Design ist inzwischen (fast) überall angekommen. Darüber hinaus ist das LMS in der Cloud nun Standard.
Wir waren überrascht, dass wir nicht mehr ausgereifte Anwendungen von xAPI zu sehen bekamen. xAPI gibt es nun seit mehr als fünf Jahren. Da momentan das Interesse an informellem Lernen und Content Curation groß ist, hatten wir erwartet, mehr Anwendungsbeispiele von xAPI zu sehen.
Viele LMSe beinhalten nun Badges. „Wenn Sie keine Badge-Strategie haben, dann brauchen Sie eine!“ formulierte James Cook von IBM plakativ in einem Vortrag bei der Konferenz der Learning Technologies. Das war auch unser Eindruck: Badges sind stark in Mode. Wir würden trotzdem empfehlen, sie nicht einfach nur zu verwenden, weil das System es kann, sondern ein solides Badge-Konzept auf Basis einer didaktischen und Personalentwicklungsstrategie zu schaffen.
Was soll der ganze Hype um Machine Learning, AI und Chatbots?
Auf der Konferenz der Learning Technologies habe ich mich auf Machine Learning und AI konzentriert. In seinem Eröffnungsvortrag präsentierte Rohit Talwar (Gründer und CEO von Fast Future Research) diese Trends als die wesentlichen disruptiven Veränderungen für alle Branchen. Nach dem zu urteilen, was ich in Vorträgen von Microsoft und IBM hörte, sind die Lösungen für die Personalentwicklung allerdings noch nicht so ausgereift. Nigel Willson von Microsoft zeigte ein nützliches Tool, um Videos zu verwalten. Video Indexer ermöglicht es, Videos automatisch Metadaten zuzuordnen, wie z.B. Sprecher und Schlagwörter. Es produziert sogar automatisch Transkripte und Übersetzungen.
Eine Anwendung von Machine Learning ist Natural Language Processing, was wiederum die Basis für Voice User Interfaces (VUI) bildet, das nächste neue Terrain. In unseren alltäglichen „Gesprächen“ mit Siri, Alexa und Co erleben wir, wie diese Assistenten die Navigation vereinfachen und beschleunigen können. Allerdings haben wir noch einiges an Arbeit vor uns, bevor uns eine Alexa begrüßt, wenn wir uns in ein LMS einloggen oder in Excel hängenbleiben.
Chatbots sind ein Zwischenschritt in diese Richtung. Auf der Messe der Learning Technologies präsentierte Learning Pool “Otto”, einen Chatbot, der „Lernern Benachrichtigungen über Kursanmeldungen sendet und auf eine Reihe von LMS-verwandten Befehlen reagiert, wie z.B. ‚Was für Kurse gibt es?‘“. Die Idee dahinter ist, dass sich Otto wie ein „unsichtbares LMS“ verhält. Da er in einem Collaboration-Tool „lebt“, trägt Otto dazu bei, Lernen und Arbeiten zu verbinden und Performance Support schneller zu liefern. Derzeit sind Integrationen mit Slack, Workplace und MS Teams erhältlich. Chatbots können die Personalentwicklung zudem unterstützen, indem sie Lernern Erinnerungen und Umfragen senden oder digitales Coaching ermöglichen (z.B. durch Reflexionsfragen oder tägliche Botschaften). Viele Chatbots ersetzen heute FAQs. Nigel Willson zeigte uns Microsofts QnA Maker, der automatisch aus FAQs Fragen und Antworten extrahiert und diese in einen Chatbot verwandelt. Wäre das nicht eine klasse Unterstützung für Ihre LMS-Implementierung? Oder für Teile Ihres Onboarding-Programms?
Automatisierung ≠ AI
QnA Maker ist jedoch kein Fall von Machine Learning und AI, sondern “simpler” Automatisierung. Das System lernt nicht von Kunden- (oder Lerner-) Interaktionen. Wenn Sie den Chatbot trainieren wollen, müssen Sie sich trotzdem seine Unterhaltungen mit Kunden anschauen, feststellen, wo der Chatbot nicht mehr weiterwusste und für diese Stellen geeignete Gesprächsaussagen eingeben. Mit der Zeit wird der Chatbot so einen ordentlichen Grundstock an Interaktionsoptionen haben, aber wie ich schon schrieb: Sie müssen die Antworten für den QnA-Maker-Chatbot selbst zusammenstellen. Die Maschine “lernt” nicht selbst. Und das ist etwas, das wir wiederholt sahen: Viele Menschen sprachen von AI, wenn sie eigentlich Automatisierung meinten. Dies verstärkt den Hype um AI, aber verbessert nicht unser Verständnis des Tools und seiner Potentiale.
“Menschlich zu sein kann der zentrale Differenzierungsfaktor für Unternehmen in den nächsten Jahren sein“ - Rohit Talwar
Eine Aussage von Nigel Willson blieb bei mir hängen. Er sagte: “Lerner wollen keine Automatisierung. Sie wollen Personalisierung”. Die sogenannte ‘Customization’ ist kein neuer Trend bei Produkten und Dienstleistungen. Sie ist es aber noch innerhalb der Personalentwicklung. Es ist großartig, wenn Technologie ermöglichen kann, dass jeder in seiner Arbeit die individuelle Unterstützung bekommt, die sie oder er braucht, um die Arbeit gut zu machen und sich weiterzuentwickeln. Ein Grund, warum digitale Assistenten und speziell VUI so gut von Nutzern angenommen werden, ist jedoch auch, dass sie menschliche Grundbedürfnisse nach Kommunikation, Gemeinschaft und Beachtet-Werden bedienen. Chatbots und VUI befriedigen diese Bedürfnisse, indem sie menschliche Interaktionen simulieren.
Wir leben nicht nur in einem Zeitalter der Automatisierung, sondern auch der Simulation. Vielleicht ist das ein Grund, warum so viel über “Authentizität“ gesprochen wird. Auf der Konferenz der Learning Technologies meinte der Zukunftsforscher Rohit Talwar in seiner Keynote über “Emerging Technologies”, dass “menschlich zu sein der zentrale Differenzierungsfaktor“ für Unternehmen in den nächsten Jahren sein kann. Automatisierung und Digitalisierung können eine Riesenchance für die Personalentwicklung und HR sein, wie Rohit Talwar betonte: Die Personalentwicklung könnte „die zentrale Funktion in Organisationen” werden, um Menschen und Organisationskulturen auf die Veränderungen der Digitalisierung vorzubereiten.
Wenn “menschlich zu sein der zentrale Differenzierungsfaktor“ für Unternehmen sein kann, könnten Personalentwicklung und HR als die „Experten für Menschen“ einen ziemlichen Beitrag leisten. „Menschlicher zu sein“ könnte der Personalentwicklung und HR helfen, sich innerhalb von Organisationen abzuheben, die mehr und mehr von Technologie getrieben sein werden. Noch wichtiger: Die Personalentwicklung und HR könnten dazu beitragen, unsere ganzen Organisationen menschlicher zu machen. Ihrer Ansicht nach: Was würde „menschlich sein“ für die Personalentwicklung und HR bedeuten? Wie könnte das aussehen? Welche Tools bräuchten wir dafür? Ich freue mich auf Ihre Ideen.
Ein großes Danke geht an Georgi, Jenny, Luisa, Stefan und Tom, die offen ihre Eindrücke von den Veranstaltungen mit mir teilten.